Franziska Schmidt . Berlin - Kunst Foto Historikerin, Germanistin
Amin El Dib, Some Changes Made
Amin El Dib, Some changes made, ed. by Marc Barbey, Collection Regard, Berlin 2019
English Version
"Die Spaltungen, der Riss, die Übergänge, der Kern, wo die Zerstörung Dir geschieht"
An den Bruchlinien der Bilderfahrung2 entlang hat Amin El Dib sein Werk gedacht, Sichtbares und nicht Sichtbares, Existentes und nicht Existentes ins Bild gebracht. "Die Frage nach Dasein, Leben und Nicht-Dasein, Tod [...] läßt sich auch auf das fotografische Material übertragen." (Amin El Dib) Im Ausloten der Themen und Grenzen im bildschöpferischen Sinne, in der Auflösung des Formalen und Darstellbaren, in der Fragmentierung von Körper und Raum, der Abstrahierung und Verfremdung bis zur Unkenntlichkeit, in dem Befragen und Überprüfen von Technik, Material und Bild, im Verbergen, Zerlegen, Zusammenfügen, im Experimentieren und Dekonstruieren, Chiffrieren untersucht und erprobt El Dib die Fotografie in ihrer Medialität sowie Stofflichkeit. Risse in der Bildstruktur wie im Sinngehalt als auch Papiergewebe kennzeichnen eine von Fragilität, Verletzung und Auflösung inbegriffenen Deutbarkeit. Sein auf das Spannungsverhältnis von Oberflächenstruktur, Figur, Raum und Zeit gerichteter Blick vertieft und verdichtet sich durch das Agieren, Ergreifen, Eingreifen ins Bild und Papier.
El Dib schafft Kunst mit Fotografie. In Themen geordnet entstand El Dibs Werk zuvorderst in langfristig, oft über Jahre angelegten Projekten, die im analogen Schwarzweiß und in der digitalen Farbe entstanden sind. Ein experimenteller Umgang mit bereits vorhandenem Ausgangsmaterial, Negativ wie Abzug, reflektiert zudem sein zeitgenössisches Medienverständnis. Mit Neugierde und kritischem Gespür unterzieht er die Fotografie in unterschiedlichen Verfahren der bildimmanenten Betrachtung, durchdringt und formuliert seine Arbeiten dahingehend stetig um. Nicht nur die handelnde Hand, auch das emotionale Verhältnis zum Werk ist in die vorliegende Auswahl seines Œuvre eingeschrieben.
Jede fotografische Grundstruktur, jedes Korn hat ihren Ursprung in der unmittelbar erlebten Situation und allseitigen Berührung der Sinne. Wie im "Theater der Grausamkeit" von Antonin Artraud bewegen sich El Dibs Protagonisten auf den Bühnen der Fotografie. Die Bildfläche ist den Figuren Existenz und Lebensraum zugleich – Das Bild können sie durchqueren, sich in Undeutlichkeiten und die Tiefen verlieren oder aber über die Begrenzungen treten, um zu entschwinden. In Cain I (1991-1992) aus Artaud Mappen versucht El Dib die figürliche Festlegung und das handelnde Moment im Bild zu durchbrechen. Die in Unschärfen agierenden Personen sind des Raumes und eigenen Wirkens enthoben. In der Hell-Dunkel-Montage, dem Offenlegen sowie Verbergen, dem Bearbeiten des Negativmaterials verbinden sich Zeit- und Seinsebenen zu einem Davor und Danach. Als Geist seiner selbst entrinnt die Gestalt Kains nach dem Tod an Abel aus dem Bild hinaus.
In Ansicht meiner Liebsten (1995-1996) blickt El Dib auf sein Gegenüber und durchleuchtet die Fotografie nach ihrem Realitätsgehalt. Worin liegt die Wahrheit eines Abbildes, worin das Erkennen desselben begründet? In der dreidimensionalen Erfassung – Profil, Frontalansicht, Rücken – will sich das Abbild in der Projektion das "Urbild" zu eigen machen, um zu verschmelzen. Behutsam berührt die Kamera Haar, Ohr, Gesicht, die sich jedoch diesem Zugriff zu verweigern beginnen. Der Blick verliert sich in der abstrahierenden Bildstruktur, um dann in überbelichtete und abgewedelte Flächen zu entgleiten, das Antlitz selbst bleibt verborgen darin. Am Ende zur Gänze aufgelöst, wird die Rahmung des Negativrands zur performativen Hülle, zu Chiffren, zu gedanklichen Codes.
Das taktile Moment der Gesichtshaftigkeit erfährt in Teilansichten (1997) einen Riss, eine Verwandlung. Der soeben noch vergeblich versuchten Annäherung begegnet El Dib nun mit Trennung und gleichzeitiger Verdichtung. Er reißt in die Oberflächen, zerstört so die Imagination, um zu den tieferen Bedeutungsebenen zu gelangen. Er durchbricht die Schichten, gräbt sich ins Bild und bettet es um. Im Aufschlagen der Realitäten wird das Antlitz zur Metapher des schmerzlichen Sehnens und Begehrens. Metallene Klammern schlagen in die Oberflächen sinnbildlich Wunden. Die Bildnarration verweist so auf das verletzende Moment einer seelischen Transformation.
Als Reminiszenz an die Vergänglichkeit steht SchnittBlumenBilder (1998-2000) für das Gedeihen, Vergehen, die Gefährdungen und Unvollkommenheit. Wo ist die Schönheit im Verfallen, wo ist der Ursprung in unserer Gedankenwelt, wo ist die Reinheit geblieben? In Wasser getaucht wie in Zeit verwandeln sich Blumen zu abstrakten Geflechten und entfalten ein stoffliches Eigenleben. Sacht fasst El Dib die Zartheit der verwelkten Blüten und Stengel in den porösen Glanz von Barytpapier. In der Körnung und Abstraktion der Fotografie, in dem Spiel der Flächen und Formen sind ihre Körper in Gefahr, sich gleichsam darin aufzulösen.
Eingriffe mit und in Fotografien formen in Weekenders (2000-2002) aus dem Abzugsmaterial Objekte und Installationen im Raum, die eine erneute Umkehrung in die Bildfläche hinein erfahren. El Dib befragt das fotografische Material in mehrfacher Hinsicht und sucht aus der Bildebene heraus in Kategorien wie Grundriß und Aufriß, Tiefe und Form, Plastizität und Figur zu denken. Zerknüllt, gerissen, gebogen, im Raum arrangiert, erneut reproduziert, erfahren die Bildkörper eine Umformung entgegen ihrer Bestimmung – zum versehrten Puppenkopf, zum deformierten Gesicht, zu einem bis auf die Grundmauern zerschnittenen Bild. In derartiger Negierung ihrer selbst werden Bilder mit Bildern überschrieben.
GelineSilberLichtKarton (2002-2006) thematisiert das Noch-erkennen-Können einer gestalteten Form in den Grenzbereichen der visualisierten Verletzlichkeit. Wie weit kann ein Mensch aus dem Bild treten, bis seine Erkennbarkeit oder die Spuren seiner Anwesenheit verloren gehen? El Dib "liefert eine fast schon trotzig-unzeitgemäße Rückschau auf die Qualitäten der fotografischen Ära des Barytpapiers, der schimmernden schwarzweißen Oberflächen, die er reißt, knickt, im Raum staffelt und so die Vergrößerungen von Belichtungen von Körperteilen zu neuen abstrakten Stilleben arrangiert."3 Mit den Verschiebungen des Blicks in einem gewaltsamen, ebenso heilenden Akt, versucht El Dib die visuellen Dimensionen jenseits des fotografisch Darstellbaren zu erkunden. Hinter jedem Eingriff, dem Zerstören des Gelatinesilberpapiers wie der Körperteile im Bild stehen des Künstlers Wunsch, sich in die Realitäten des Bildes zu begeben, die hinter der artifiziellen Bildtextur unerreichbar erscheinen.
Schnittflächen und Baumstümpfe können ebenso Gleichnis für innere und äußere Landschaften sein. Gewissermaßen blicken wir in Nach dem Sturm (2012-2014) auf die Verwüstungen in der Natur wie auf die Zäsuren im Leben.
In BruchWerke (2017) werden aus "Figurationen antiker Götter und Heroen [...] alternative Erzählungen über die Gefährdungen der Existenzen, des Berührens und Begehrens. [...] Am Collagieren interessiert El Dib weniger der Zusammenprall unterschiedlicher Realitätsfragmente als die Haptik und Leiblichkeit von Bildern schlechthin."4 Die Stellvertreter einer schicksalhaften Heterogenität aus vergangenen Epochen werden in Bildschichten übereinander gelegt, dergestalt verhüllt oder gespalten. Auch hier metallene Klammern, die roh in die Körper dringen – in Hals, Gesicht, Brust, Bein. Die differenziert fotografierten Oberflächentexturen des porösen Materials berühren sich sacht und die Figuren erfahren darin eine Verwandlung. Harte Kontraste in grau gehen in farbige weiche Flächen über, totes Material beginnt sich zu beleben. Indem das räumliche und zeitliche Kontinuum zerbricht, ordnet es sich neu. Der Bildner reagiert auf die Bildhauerei, korrigiert, arrangiert und erschafft so zeitgemäße Konnotationen.
Gestisches Handeln durchziehen die Arbeiten von Amin El Dib und haben sich aus dem Bild heraus auf das Material übertragen. Die in den Bildern angelegten Strukturen schwingen im Rhythmus des formalen Erlebens und legen Irritationen bloß. Der mechanische Eingriff, der Akt des Faltens, Zerknüllens, Zerreißens transportiert diese auf das Papier und in der Fragmentierung der Figuren werden die "existentiellen Gefährdungen jedes atmenden Körpers"5 offen gelegt. Das Zusammenfügen oder sachte Übereinander- und Aneinanderlegen wird zur Heilung derselben. Die Eingriffe geschehen neben den mechanischen zudem mit genuin fototechnischen Mitteln der analogen Produktion, in der Solarisation, im Abwedeln, Ausschnitt setzen, im Zerschneiden, im Reproduzieren. Im bildnerischen Verstehen werden Unschärfen, Anschnitte, Abwendungen oder Verstellungen angewandt. El Dibs intuitives Vorgehen folgt einer Spur, die im Werk selbst begründet liegt – Nicht nur das Erfahrbare, sondern eine inhärente Erkenntnis und ihre gedankliche Verdichtung geben dabei den entscheidenden Impuls.
Amin El Dibs Arbeiten sind Bildmetaphern für den Riss im Realen, für den "Bruch mit dem Selbst im Gewebe des Seins".6 Einheit und Differenz, Entdecken und Verbergen, Hinterfragen und Offenbaren, die Gegenwart und das Vergängliche bilden derart verstanden Parameter der Bildverrückungen und Wiedereinschreibungen zugleich. In den Inkohärenzen des Lebens liegt El Dibs differenziertes Werkverständnis mithin begründet.
© Franziska Schmidt, 2019
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Überschrift nach: Gottfried Benn, Verhülle Dich, 1950/51
2 Bernhard Waldenfels, Bruchlinien der Erfahrungen. Phänomenologie – Psychoanalyse – Phänomenotechnik, Suhrkamp 2002
3 Boris von Brauchitsch, In 22 Büchern um die Welt. Rezension des Buches "SilberLicht", in: European Photography, Nr. 83 (2008), nach: www.amineldib.ch
4 Isabel Zürcher, Von der Brüchigkeit des Seins. Amin El Dib in der Skultpurhalle Basel, 2016, nach: www.amineldib.ch
5 Isabel Zürcher, ebd.
6 Marcus Steinweg, Dialektik der Rastlosigkeit, in: Journal Performance Philosophy, Vol 3, No 2 (2017), nach: www.performancephilosophy.org
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