Franziska Schmidt . Berlin - Kunst Foto Historikerin, Germanistin
Amelie Losier, Sayeda
Amelie Losier, Sayeda. Women in Egypt, Wädenswil 2017
Du sollst Dir (k)ein Bild machen / Einblicke und Anblicke
Das Bild der ägyptischen Frauen scheint heute im sogenannten „Westen“ vor allem durch eine bestimmte Form der öffentlichen Darstellung in den Medien und der Presse geprägt zu sein. Typisch sind dafür Bewertungen wie „verachtet“, „diskriminiert“, „missbraucht“ oder „belästigt“, um nur einige der ausdrücklichsten Attribute zu nennen. Aber auch in Ägypten selbst begegnet man einer ähnlichen Sicht: „Ich lebe in einem sehr frauenfeindlichen Land“, fasst Jehan Maged (Name geändert) die Situation in ihrem Interview mit Amélie Losier zusammen. „Das größte Problem für eine Frau in Ägypten ist, dass sie ständig bewertet wird“, stellt Halafa Mustafa fest. „In Ägypten fangen Sie an, sich zu hassen, weil sie eine Frau sind“, bekennt Heba Khalifa. Es sind Sätze wie diese, die nachdenklich stimmen, auch wenn sich mit „spitzen Nadeln“ immer mehr Widerstand regt „gegen grapschende Männer“ und ein neues Selbstbewusstsein sich bemerkbar macht: „Ich bleibe nicht zu Hause und beweine mein Schicksal“, sagt Dounia Mersel. „Ich bin eine Gamda, eine starke Frau gegenüber allen, die meine Rechte verletzen wollen“, weiß Rawiya Abdel Kadr. Dennoch läuft das von einer Gesellschaft geschaffene Fremd- und Außenbild auch Gefahr, zum verzerrten Selbstbild zu werden. In allen Äußerungen der Frauen, die Amélie Losier für ihr Projekt „Sayeda“ in Ägypten getroffen, fotografiert und zu ihrer Lebensgeschichte befragt hat, offenbart sich ein Ringen um eine angemessene Selbst- und Fremdwahrnehmung.
Dem Bild des Anderen gerecht zu werden, erfordert besondere Konstellationen und Voraussetzungen. Scheint die Präsenz, die Selbstvergewisserung der eigenen Existenz und Gegenwart durch äußere Umstände erschwert oder gar verloren gegangen zu sein, ist es umso wichtiger, ihr wieder klare Konturen zu verleihen. Es gilt, der männlichen Sicht (und damit dem öffentlichen Bild) ein Korrektiv, ein bewusst anderes Modell gegenüberzustellen und dadurch das Ichbewusstsein wieder zu gewinnen. Wie gelingt es Amélie Losier als Fotografin und Interviewpartnerin, dazu einen Beitrag zu leisten? Wie findet sie die Balance zwischen der Vertrautheit des gemeinsamen Geschlechts und der Anerkennung der porträtierten Frauen als eigenständige Person?
Die Geschichte der künstlerischen Fotografie weist zahlreiche große Namen von Fotografinnen auf, die sich mit den bildlichen Selbstentwürfen, Inszenierungen und visuellen Darstellungen von Frauen beschäftigt haben. Zu nennen wären hier beispielsweise Julia Margaret Cameron, Claude Cahun, Imogen Cunningham, Diane Arbus, Cindy Sherman und andere. Ihre Aufnahmen umfassen dabei alle Bereiche des weiblichen Lebens: die Befragung des eigenen Ichs, die verschiedenen Formen der Selbstdarstellung, der optischen Auslotung der Lebenskontexte wie Familie, Beruf und soziales Umfeld, aber auch des eigenen Körpers und experimenteller Bildformen. So verschieden die Ansätze und deren Resultate jeweils ausfallen, so sehr ist ihnen der Anspruch auf ein spezifisch feminines Verständnis (und ihre Sicht darauf) gemeinsam. Gerade in Lebenswelten wie in Ägypten, in denen aufgrund der gesellschaftlichen Situation das Frauenbild zu einem verletzlichen Gut geworden ist, gilt es mit Bildern ein Zeichen zu setzen, um den Protagonistinnen eine erkennbare eigene Präsenz zu verleihen. Das Bedürfnis danach ist groß, was sich auch an vergleichbaren Projekten in anderen Ländern ablesen lässt. Zum Beispiel hat die Fotografin Wenke Seemann in Algerien, Iran, Korea oder Chile Frauen getroffen, die Position beziehen: Journalistinnen, Wissenschaftlerinnen, Frauenrechtlerinnen oder Feministinnen. Sie hat ihnen eine Kamera in die Hand gegeben, damit sie sich selbst fotografieren und darüber definieren können.
Folgen wir also Amélie Losier auf ihrer Reise zu den ägyptischen Frauen, begleiten sie durch die Straßen Kairos bis hinein in die eigentlich verschlossenen privaten Rückzugsorte. Da die Möglichkeit einer offenen, freien Begegnung in Ägypten ausschließlich dem häuslichen Bereich vorbehalten ist, fanden die meisten Portrait-Termine in den Wohnungen der Protagonistinnen statt. Das Heim ist der räumliche Kontext, in dem sich die Person hinreichend definieren kann. Bühnenpräsenz, Raumausfüllung, Raumermöglichung scheinen für die Fotografin wie die Fotografierten wesentliche Aspekte bei der bildlichen Umsetzung gewesen zu sein. Es geht um Selbstbesinnung und Konzentration, um Festigung und Beruhigung, um Darstellung und Hingebung – weniger um Spontanität, Bewegtheit oder um ein Experiment im Bild. Entscheidend ist die stringente, direkte Wirkung im Angesicht der Kamera; das Interesse und die Aufmerksamkeit gelten einzig und allein der dargestellten Person – ganz im Sinne eines traditionellen formalen Portraits? Die psychologische, seelische Durchdringung der Person tritt hinter das rein darstellende Moment zurück; erzählt wird nur durch andeutende Details. Der fotografische Blick bleibt zurückhaltend und trägt den vertraulichen Vorzeichen Rechnung, unter denen sich die privaten Lebenswelten hier öffnen. Die porträtierte Person erfährt ihr Dasein im Dialog: als bewusstes Gegenüber und in der konkreten Haltung dazu.
Klar und bestimmt, anmutig und ernst, nachdenklich und versonnen, herausfordernd und konzentriert, nah und doch irgendwie unerreichbar zugleich mögen die Blicke der Frauen wirken. Auf eine Art unbestimmbar und in sich abgrenzender Absicht scheinen sie sich dem Zugriff gängiger Deutungsmuster entziehen zu wollen. Vielstimmigkeit erlangen die Portraits durch die unterschiedlichen Gesellschaftsschichten und Altersstufen, denen die fotografierten Frauen angehören. Für jede von ihnen gibt es einen passenden Rahmen – wie auf einer Bühne mit ihren eigenen Requisiten. Farben und Lichtführung verleihen den Aufnahmen die Stimmung und Temperatur, die für das Leben der Dargestellten charakteristisch sind: Erdig und warm erscheinen die Aufnahmen der Töpferin Rawiya Abdel Kadr in der Werkstatt, die als Oberhaupt ihrer Familie Sicherheit und Beständigkeit verkörpert. Hell, offen und frisch wirkt dagegen der Raum von Marianne Khouri, einer in Kairo lebenden Regisseurin und Filmproduzentin. Wie aus der Zeit gefallen erscheint dann wieder der dunkle Raum, in dem sich die greise Witwe Fatma auf einem altertümlichen Sofa präsentiert. Die Fotografin und Malerin Heba Khalifa ist – fast wie auf einem Gemälde Vermeers – in eine Art magischen Lichts getaucht, das ihr Bildnis geheimnisvoll aus der Tiefe des Raumes hervortreten lässt. Es ist dieses Gespür für die Vielschichtigkeit der Menschen und die sprechenden Details und Verweise ihrer privaten Lebensumgebung, die den Aufnahmen von Amélie Losier eine große Intensität verleihen.
Ganz anders dagegen die Wirkung von den Bildern auf der Straße. Hier schlägt einem förmlich der Lärm, die Gerüche, die Hast entgegen – das Chaos und die pralle Fülle der Straßen, Märkte und Läden der Stadt. Im Durcheinander des öffentlichen Raums gelingt es kaum den Blicken der Frauen zu begegnen. Im Gegensatz zum konzentrierten ‹Aug’ in Auge› des Porträts zerfällt das Bild der Frau hier in zahllose Einzelmomente und Details, in Zeichen und Andeutungen, die wie Teile eines großen Puzzle erscheinen und gelesen, d.h. zusammengesetzt sein wollen. Auffallend oft sieht man in sich gekehrte, in sich zurückgezogene, von männlichen Seitenblicken fixierte Frauen. Vielerorts begegnet man auch Werbung und Geschäftsauslagen, die Weiblichkeit mit sexuellen Konnotationen verbinden. Diese Aufnahmen sind Bilder und Beobachtungen aus dem Verborgenen heraus, denn das Fotografieren im öffentlichen Raum ist in Ägypten heute nicht ohne Risiko. Um so eindrücklicher sind Amélie Losiers geistesgegenwärtige Aufnahmen vom gelebten Alltag in den belebten Straßen: aus dem raschen Wechsel herausgeschälte Momente, in die unterschiedlichsten Farben getauchte Stadtszenerien, in Bildern festgehaltene Sinneseindrücke.
Um zu den eingangs formulierten Fragen zurückzukehren: Auch wenn Amélie Losier als Fotografin die Erscheinung der Frauen vermeintlich nur in ihrer sichtbaren Oberfläche festhalten kann, lotet sie das Thema in einer Weise aus, die mit einfühlsamem Gespür Porträt, Studie und symbolische Inszenierung miteinander verbindet. Im Spannungsfeld zwischen Nähe und Distanz hat sie eindrucksvolle Portraits geschaffen, in denen sich Verbergen und Offenbaren harmonisch auspendeln. Dabei handelt es sich um Portraits in doppelter Form – Bildportrait und Sprachportrait. Durch die Wahl dieser Methode war Losier imstande, die Persönlichkeit ihrer Protagonistinnen auf mehreren Ebenen ausschnitthaft und doch repräsentativ in signifikanten Facetten darzustellen und sie in ihrer authentischen Präsenz und Aura zu erfassen. Gelungen ist ihr dies vor allem dank der besonderen Konstellation in der Begegnung mit ihresgleichen. Nur in diesem gleichsam auf Augenhöhe stattfindenden Dialog und im stillschweigenden Wissen um den gemeinsamen Status als Frau konnte ein derartiges Projekt der Außendarstellung einer Innensicht gelingen. „Sayeda“ ist das von einer Frau geschaffene Bild von Frauen.
© Franziska Schmidt, 2017
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