Franziska Schmidt . Berlin - Kunst Foto Historikerin, Germanistin
Amelie Losier, Just like a woman
Amelier Losier, Just like a woman, Nimbus, Wädenswil 2014
BILDER EINER STADT
So vielfältig ein Ort und groß dessen Wandel, so unterschiedlich ist auch der Blick darauf. Dies gilt im besonderen Maße für eine Metropole wie New York, die als kultureller Schmelztiegel und architektonischer Vorläufer stets Maßstäbe setzte und eine Herausforderung in vielerlei Hinsicht bedeutete. Fotografisch haben Bildautoren wie Berenice Abbott, Helen Levitt, Bruce Davidson oder Saul Leiter, um hier nur einige Namen zu nennen, unsere Vorstellungen von dieser Stadt bis heute geprägt: Sei es Abbotts „Changing New York“, ein fotografisches Großprojekt Mitte der dreißiger Jahre, das in realitätsgetreu gehaltenen schwarzweißen Architekturaufnahmen und Straßenszenerien ein eindrucksvolles Bild von der Stadt zur Zeit der beginnenden Depression wiedergibt. Oder die einfühlsamen Momentaufnahmen von Levitt, die das tägliche Miteinander von Alt und Jung, vor allem das der spielenden Kinder auf der Straße, inmitten der Härte des Lebensalltags der dreißiger und vierziger Jahre poetisch und virtuos in Szene setzt. Ebenso der Zyklus „East 100th Street“ des „Bildermanns“ Davidson über das Leben in und um einen Wohnblock in Harlem, der als ein Hauptwerk in der Geschichte der Dokumentarfotografie zu verstehen ist. Aber auch Leiters farbige Straßenaufnahmen der fünfziger und sechziger Jahre, dessen Fotografie als bildgewordene Malerei zwischen Abstraktion, farbiger Flächigkeit und figurativer Darstellung changiert.
Das New York, wie Amelie Losier diese einmalige Metropole versteht, ist weniger der reinen Dokumentar- oder sogenannten Streetfotografie zuzuordnen, sondern gleicht vielmehr einer lichtgewordenen und fragmentierten Landschaft, einer psychologischen und physiologischen Durchdringung und Deutung dieser Stadt. Es ist das Licht, das die Fotografin in ihren Bildern inszeniert, zum Anhaltspunkt ihrer Blickrichtungen nimmt und Regie führen lässt: Lichtreflektionen, Lichtbrechungen, Lichtüberlagerungen, Lichtdurchdringungen. Fasziniert von einer trotz der hohen Häuserschluchten Manhattans alles durchdringenden Helligkeit begreift Losier die Stadt als eine Art metaphorisches Konstrukt. Collagenartig verschmelzen Passanten, Autos, Schilder, Gebäude, Fensterdurchsichten und -spiegelungen zu einem kubistisch anmutenden Gebilde, in dem sich Zeit, Perspektive und Ordnung im Raum aufzuheben beginnen. Momente, Begegnungen, Menschen, Farben, Formen durchdringen und überlagern sich. Bilder, die anscheinend wechseln, sich einholen, überholen, letztendlich miteinander vermischen, ineinander übergehen und zu fließen beginnen. In derartiger Durchlässigkeit erscheint uns New York mit den Augen von Losier gesehen als ein Traumgebilde, das es vermag, Wundervolles und Verborgenes aus dem Innersten zu holen.
Wie Standbilder aus einem Film entnommen, wirken dagegen andere fotografische Momente, die Räume für Geschichten oder rätselhaft wirkende Episoden eröffnen wollen. Szenerien gleich, rufen die Aufnahmen im Einzelnen ganz eigene Erinnerungen oder gegebenenfalls auch Irritationen hervor. Sehen wir wirklich ein von oben in den Raum herab hängendes Pferd? In einer Stadt, die sich als Mischwesen aus den unterschiedlichsten Kulturen, Gesellschaftsschichten, Lebensformen, Biographien, Farben, Gerüchen, Tönen und Temperamenten Tag für Tag neu erfinden muss, kommt einem das Leben vielleicht manchmal recht unwirklich vor, surreal und inszeniert zugleich. Genau dieser Umstand lässt unendlich viel Raum für ungezählt viele Möglichkeiten – zur Identifikation, zur Verwirklichung, zur Behauptung oder zur Interpretation. Vielleicht entspricht dieses Gefühl genau jener Empfindung: „New York’s life is like being in the movies“ – in der Anschauung durchaus prägend für das Bild dieser Stadt.
Letztendlich waren es die Frauen, die Losier in New York gesucht und gefunden hat, möglicherweise angetrieben aus einem Selbstverständnis oder der persönlichen Selbstbefragung heraus. „It’s all about love and lost“ Mit Charme und Witz offenbaren sich Losiers Protagonistinnen ihrem eigenen Portrait vor der Kamera, in einem kurzen Moment nur, einer Art von Posieren, sich positionieren, jedoch mit stolzer und aufrechter Haltung. Wie begegnet man dieser Stadt? So direkt wie möglich, manchmal auch etwas zögerlich, vielleicht auch skeptisch, belustigt oder herausfordernd. Es sind kluge Frauen, schöne Frauen, normale Frauen, einfach nur Frauen, denen Losier begegnet ist. Deren Unabhängig- und Selbstständigkeit hat sie offensichtlich beeindruckt, entspricht diese nicht nur der eigenen Selbstwahrnehmung sondern auch einem Gespür für diese Stadt.
Amelie Losier hat in „Just like a woman“ versucht, mit ihren ganz eigenen fotografischen Mitteln, den charakteristischen Elementen und Besonderheiten New Yorks auf die Spur und so der psychologischen Hülle dieser Stadt möglichst nah zu kommen. Nicht das Abbild, nicht ein Abdruck sondern das erzählerische Moment, eine Stimmungslage und atmosphärische Instanz erschienen ihr maßgeblich zu sein für das intuitive Erfassen und Begreifen von diesem Ort, so wie sie ihn gesehen und verstanden hat.
© Franziska Schmidt, 2014
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