Franziska Schmidt . Berlin - Kunst Foto Historikerin, Germanistin
Yvonne Andreini
„Bild-Zeit-Partituren“ –
Malerei und Zeichnung von Yvonne Andreini
Aus dem Bildinneren heraus schälen sich nebulöse Wesen wie Gedankengespinste, die sich in linearen Chiffren zu grünen und schwarzen Geraden wie auch Schwüngen verdichten. „Dinner with Ghosts 1, 2020“ (Tusche auf Leinwand) wirkt wie das Zeitrauschen, in dem die Erinnerung in den Untiefen langsam aufsteigender Nebelschwaden verblasst. Was bleibt ist ein Schatten, eine Vorahnung, auch ein leichtes Unbehagen.
Hingegen überlagern und verstärken sich in dem unverwechselbaren Geflecht sich kreuzender Striche bei „Kopf, 2021“ (Tusche und Öl auf Leinwand) die wildesten Gedankenkonstrukte bis hin zur Unkenntlichkeit. Das Bildnis wird darin vollends verwoben.
„Multicolor Brain I, 2021“ (Tusche und Öl auf Leinwand) visualisiert in farbigen Prismen die inneren Verbindungen und Verknüpfungen menschlicher Denkstrukturen, die wie wabenähnliche Gebilde durch Raum und Zeit mäandern.
„Insideout Teppich I, 2021“ (Tusche und Acryl auf Leinwand) verleiht dem Raum ein surreales Eigenleben, wenn der Teppich amöbenartig in die Flächen hinüber zu wandern beginnt.
In „...??“ hängen Frauenhaare wie Fäden überm Gesicht, so als ob die geheimsten Gedanken sich wurmartig nach außen winden.
Horizontale Streifen auf der Leinwand folgen in „(Landscape) Outsight I, 2019“ (Tusche auf Leinwand) den Wegen der Pinselstriche, von diversen Linien unterbrochen. In der Reduktion und Konzentration auf das Wesentliche lassen sich Gebäude oder bergige Landschaften in einer Art Reliefbild erkennen, das sich wie von Geisterhand aus sich heraus nach außen zu stülpen beginnt.
Die Werke von Yvonne Andreini sind Mysterien von bildmächtiger Suggestion. Wir blicken auf Körper, Gegenstände, Symbole, Linien, die sich in den Andeutungen der Zeichnung verlieren, um sich im nächsten Moment malerisch zu behaupten. Im Werden, Vergehen und Neuentstehen erkennen wir die eigene Überzeitlichkeit. In den fein abgestimmten, übereinander angeordneten und linear verlaufenden Zeichenebenen und malerischen Abstraktionen erfährt das Ich und das Gegenüber eine bildhafte Entsprechung. Andreini sucht dem menschlichen Sein und Sinnen sowie den landschaftlichen Spuren, aber auch dem Vergehen von Zeit und den Veränderungen von Dingen habhaft zu werden.
Ihre Arbeiten sind zeichnerisch gedacht und malerisch erzählt. In der Verbindung der ureigensten Wesensmerkmale zweier Medien vereinen sich das linear-abstrahierende Moment der Zeichnung mit der flächigen Räumlichkeit der Malerei. Im Grundgegensatz von Hell und Dunkel, was dem Bleistift aber auch den Farben eigen ist, formuliert Andreinis ihre Bildkonturen und -kompositionen. Dabei „schreibt“ sie Linie um Linie, Fläche um Fläche, um in der Überlagerung der ungezählten Momente bis zu einem verborgenen Kern zu gelangen.
Andreini sucht, aus der Welt der schönen italienischen Künste stammend, in den spröden Formen und schwer zu fassenden Fragezeichen dieser Welt ihre eigene künstlerische Entsprechung. Mit wenigen Mitteln komplexe Vorgänge zu beschreiben hat ihr Lehrer Hanns Schminansky sie an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee gelehrt. Ausgehend von der üppigen, teils verschwenderischen Malerei landete sie bei der zurückhaltenden, konzentrierten und unmittelbaren Zeichnung, die in ihrer Reduktion so etwas wie eine innere Wahrheit offenbart. Wie auch Schimansky reizte Andreini das assoziative Feld des Möglichen, in denen die Kontraste und Widersprüche des Erlebten und Erlebens innere Bilder erzeugen.
Andreinis Themenwelten bewegen sich in den Gegensätzen. Was sind innere und äußere Räume? Wo liegt deine und meine Heimat? Was sind die eigenen weiblichen und fremde Kräfte? Wie lassen sich Kulturen verbinden? Was ist laut und leise, einfach oder schwierig, vielstimmig oder eintönig, Hingezogen- oder Abgestoßensein? Andreini folgt ihren eigenen Spuren und lotet die Stellen aus, wo entgegengesetzte Pole aufeinandertreffen. Das Zwischen-den-Stühlen-stehen“, das „In-dem-Fremden-sich-selbst-erkennen“ formuliert sie zu Bilderrätseln, in denen die eigenen inneren und die von außen auferlegten Grenzen zu verschwimmen beginnen.
Zeit und Geschwindigkeit bilden zudem wichtige Aspekte in Andreinis künstlerischem Schaffen. In den früheren Arbeiten wurden diese in Kreisen und Ovale vermessen, in den aktuelleren Werken entspricht es eher dem linearen Verlauf. Die Zeit als Teil des schöpferischen Aktes findet ebenso ihre Entsprechung: Was ist eine langsame und was eine schnelle Arbeit und wie lassen sich diese unterschiedlich visualisieren? Die Intuition und Assoziation entsteht oft erst im Malprozeß. Andreini folgt diesen Energien und Impulsen traumwandlerisch. Ihre Bildstücke setzten sich aus der inneren Eingebung zusammen. Sie selbst vergleicht diesen Vorgang mit einem Lied, das sich von selbst entfaltet und in die Bildfläche fügt. Jedes Lied entspricht einer Bildebene, die sich im Zusammenspiel der vielfältigen Stimmen ineinander weben und zu einem einzigen großartigen Ton erwachsen können. Auf die Bildgrundierung, eine immer wiederkehrende Melodie, wird das ganze Spektrum von Tusche und Öl wie Noten und Töne in dichten und plastischen Ausformungen gelegt. Die Tusche klingt flach und harmonisch. Die Ölfarbe ergießt sich über das gesamte Bild in reliefartigen Amplituden. Andreini selbst wischt und schmirgelt wie ein Dirigent in die Bildflächen und Strukturen, trägt ab, legt auf, verstärkt oder wedelt sacht mit dem Pinsel. Schicht für Schicht, Strophe für Strophe ergeben die einzelnen übereinanderliegenden Liniensysteme geheimnisvolle Mal- und Zeichenkompositionen.
© Franziska Schmidt, 2021
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